Gespräche mit Spuckowski, Briefe an die Welt

Eine Auswahl von Gesprächen mit meinem lieben Freund Miroslav Spuckowski und meinen Comicfiguren und der Briefe, die ich schreibe, aber nie absende.

 

Die vollständige Sammlung aller Gepräche und Briefe findet Ihr im "Archiv Gespräche" und im "Archiv Briefe"

Erkenntnis Nr. 15: Klebeband-Hybrid-Kinder vertragen Seite 3 nicht besonders gut

Bevor ich zu einem neuen Arbeitstag aufbreche, schaue ich noch einmal bei Miroslav und Mini-Miro vorbei. Miroslav besteht darauf, Tag und Nacht neben Mini-Miro Wache zu halten, falls dieses „Hybrid-Monster“ (O-ton Miroslav) aus seiner Starre erwacht. Um diesen Moment auf keinen Fall zu verpassen, hat er sich mit einem Sicherungsband mit dem Kleinen verbunden. Jegliche Bewegung soll ihm dieses Band sofort übermitteln.

Na dann, viel Erfolg 'Großmeister Miroslav'!“

Viel Glück, Hilfsarbeiterin Anne! Schlaf nicht so viel an Deinem Arbeitsplatz. Vor allen Dingen öffne nicht schon wieder 50 WORD-Dokumente auf einmal, nur weil nur Du ins Lu-lu-Land abgetaucht bist.“

Diese Erinnerung an einen der weniger glorreichen Momente in meinem Arbeitsleben kommentiere ich mit einem missgelaunten „HRMMRMMPFFHH“.

Nach einem mäßig erfolgreichen und immer wieder von Müdigkeitsattacken gezeichneten Tag am Arbeitsplatz hoffe ich auf mehr Frieden und Entspannung in meinen eigenen vier Wänden. Das Lauftraining habe ich gleich mal gestrichen. Mir doch egal, dass meine Gewichtsentwicklung nur noch eine Richtung kennt. Ich halte mich eben an den Hit „The only way is up“.

Auf meinem mühevollen Weg in den 5. Stock wird mir bereits auf Stockwerk 2 klar, dass ich das mit 'Frieden und Entspannung' gepflegt abhaken kann. Aus unserer Wohnung dringt Geschrei und Gepolter. Ich bin nur froh, dass meine Nachbarn virtuellen Aufruhr nicht wahrnehmen können. Ich wünsche mir gerade intensiv, dass ich diese Fähigkeit bitte jetzt gleich und auf der Stelle verliere.

In meiner Wohnung spielt sich folgende Chaos-Szene ab:

Im Zentrum des Sturms sitzt der kleine Mini-Miro und plärrt sich die Seele aus dem Leib. Rechts und links von ihm haben sich Pierre und Miroslav aufgebaut und schreien einander unentwegt an. Pierre wedelt mit einer ziemlich lädierten Zeitung herum, während Miroslav energisch auf sein Notizbuch pocht.

Dann betritt Würmi die Szene, stopft die lädierte Zeitung in das Maul von Schreihals Pierre, schaut Miroslav so finster und bedrohlich an, dass dieser 3 Schritte zurück macht und tröstet dann den weinenden Mini-Miro.

So, Schwester, jetzt habe ich für Dich das Feld bereitet. Nun sieh Du mal zu, dass Du dieses Chaos in geordnete Bahnen lenkst.“

Mir schwirrt der Kopf. Ich kann gerade noch genug Konzentration aufbringen, um die offensichtliche Frage zu stellen: „Was ist denn überhaupt passiert?“

Meine Rekonstruktion der Geschehnisse ist wie folgt: Schnarchnase Miroslavs Überwachungskonstruktion versagte. Mini-Miro erwachte aus seiner Starre, war natürlich hungrig und ging auf Nahrungssuche. Er stolperte über die Zeitung, die Oberschlamper Pierre mal wieder einfach so auf den Bode geworfen hatte. Der Kleine futterte einen Teil von Seite 3, die aus irgendwelchen Gründen wohl besonders schmackhaft war. Pierre bemerkte die Beschädigung seines Schmierenblattes und fing ein furchtbares Gezeter an. Das weckte unsere Schnarchnase, die sich sofort auf das arme Kind stürzte, um es mit allerlei Apparaturen zu untersuchen und dabei unentwegt Fragen zu stellen. Dann gerieten Pierre und Miroslav in einen furchtbaren Streit darüber, wessen bescheuertes Anliegen wichtiger sei. Entweder war Seite 3 doch nicht so bekömmlich oder es lag an der Aufregung, jedenfalls reiherte das Kind Pierre und Miroslav mit Schwung auf Beine und Füße. Dann schrien beide zur Abwechslung Mini-Miro an, der daraufhin natürlich bitterlich weinen musste. So, nun hast Du die ganze unwürdige Geschichte. Ach ja, hier noch meine Rechnung für meine Mediatoren-Arbeit“

Schnell und ohne die Rechnung wirklich zu prüfen (was für ein horrender Betrag!) bezahle ich Würmi.

Pierre gebe ich Geld für eine neue Zeitung und die Reinigung seines vollgereiherten Fells.

Miroslav verspreche ich Unterstützung bei der Abfassung seines Berichts über Mini-Miro.

Und dem kleinen Hybrid-Kind verspreche ich ein 'Outfit' seiner Wahl.

Erschöpft falle ich in meinen Lieblingssessel. „Warum gerate ich eigentlich immer in so einen Schlamassel?“

Na, weil Du ein Mädchen bist!“, lässt mich der Großmeister des letzten Wortes wissen.

 

 

Liebe „Miteinkäuferinnen und Miteinkäufer“,

 

seit langer Zeit bin ich einer meiner seltsamsten Verhaltensweisen auf der Spur: ich habe eine tiefe Abneigung gegen den Einkauf. Weniger verwunderlich ist das beim Einkauf von Bekleidung. Aber “harmlose“ Sachen wie Lebensmittel und Drogerieartikel? Was nervt mich denn daran?

Es liegt nicht an großen Menschenmassen, denn in öffentlichen Verkehrsmitteln und an vielen Plätzen der Stadt treffe ich auf wesentlich mehr Menschen, meist auch noch auf engstem Raum. Also was ist es? Heute habe ich die Antwort auf dieses verstörende Geheimnis gefunden: es ist das Martyrium der Warteschlange an der Kasse!

Ich habe nichts gegen das Warten, denn das kann ich für so viele Dinge nutzen, z. B. Fußgymnastik oder Achtsamkeitsübungen. Es ist auch eine wunderbare Gelegenheit, Sherlock Holmes zu spielen: dazu studiert man die Einkäufe der Anderen eingehend und zieht daraus Schlussfolgerung. Beispiel: “Junger Mann kauft zwei Packungen Fertiglasagne, zwei Flaschen Rotwein und Vanilleeis. Schlussfolgerung: hat seine neusten Flamme zum Essen eingeladen, kann nicht kochen und hat keine Kohle für ein Restaurant (oder will ohne Umwege zur Sache kommen).“

Leider kann all dies nicht stattfinden, weil Ihr, meine lieben Miteinkäuferinnen und Miteinkäufer, beim Anstehen an der Kasse total durchdreht. Wenn mehr als drei Leute anstehen, erschallt mit hundertprozentiger Sicherheit der Kampfschrei “Könnense nich noch ne Kasse aufmachen?“

Wird diesem Verlangen aus durchaus nachvollziehbaren Gründen nicht gefolgt (es gibt gar keine weitere Kasse oder keinen Mitarbeiter, um eine vorhandene weitere Kasse zu besetzen), dann baut Ihr Eure innere Anspannung durch folgende Handlungen ab:

1. Einkaufswagen in Kniekehle des Mitmenschen rammen, der unverschämterweise vor Euch steht.

2. Ganz nah aufrücken, damit der Depp vor Euch gefälligst nach vorne aufrückt. Jeder Millimeter zählt.

3. Tiefe Seufzer im Sekundentakt tief in den Nacken der dämlichen Kuh vor Euch. Vielleicht ergreift sie die Flucht?

4. Herum granteln über die Service-Wüste Deutschland, bis auch der letzte Optimist schlechte Laune bekommt.

Und wenn Ihr dann endlich an der Reihe seid, knallt Ihr Euren Einkauf mit aller Kraft auf den Verkaufstresen oder das Band und starrt aus hasserfüllten Augen auf das lahme und inkompetente Verkaufspersonal. Ihr legt Euch so richtig ins Zeug, damit “die mal so richtig Stress haben“.

In solchen Momenten muss ich immer an meinen Arbeitsplatz denken. Da kommt auch oft Stress auf, weil Kunden unzufrieden sind. Und urplötzlich mitten in der Warteschlange bei Feinkost Grotti oder Drogerie Dufte spüre ich genau diesen Stress, bin überzeugt, dass man mich auch für lahm und inkompetent hält. Am liebsten würde ich dann fliehen, wie unsere Vorfahren, wenn der Säbelzahntiger um die Ecke bog. Als Mitglied dieser zivilisierten Welt geht das aber nicht. Also bleibe ich mit schmerzenden Kniekehlen und feuchtem Nacken brav stehen, bis ich an der Reihe bin. Währenddessen kreist nur ein Gedanke durch mein gestresstes Gehirn “nie wieder einkaufen“.

Liebe Miteinkäuferinnen und Miteinkäufer, bitte überdenkt noch einmal Eure Einstellung und Euer Verhalten in der Warteschlange. Wir allen klagen über Stress und sind doch selbst oft die schlimmsten Stressoren. Und denkt auch mal an das nicht gerade fürstlich entlohnte Verkaufspersonal. Warum lasst Ihr Eure Ungeduld und Eure schlechte Laune ausgerechnet an diesen Leuten aus?

Außerdem: ein wenig Wartezeit hat noch keinem geschadet. Spielt doch auch mal Sherlock Holmes oder ein anderes lustiges Warteschlangen-Spiel. Ich hätte da noch ein paar Vorschläge ...

Liebe Grüße

 

Eure Anne

 

(die dämliche Kuh, die vor Euch in der Schlange steht)

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© Annelie Riedel